Abreissen oder umbauen im Namen der Nachhaltigkeit?

Die Frage, ob Du ein bestehendes Haus abreißen oder umbauen sollst scheint mir – zumindest aus der Sicht der Nachhaltigkeit – relativ ambivalent zu sein. Auf der einen Seite wissen wir, dass es gut ist, wenn ein Gebäude sehr lange genutzt werden kann. Andererseits entsprechen die meisten älteren Gebäude nicht den heutigen Anforderungen – vor allem, wenn es um den Energieverbrauch geht. Zu dünne Wände, zu viel Feuchtigkeit, ein veraltetes Heizsystem.

Es macht durchaus Sinn, wenn Du zuerst die Möglichkeit prüfen kannst, ob Du diese unzureichenden Werte oder Anforderungen im Rahmen einer Sanierung oder Umbau auf einen ausreichend guten Standard bringen kannst – bevor Du an einen Abriss denkst.
Aus gestalterischer Sicht bieten Dir Altbauten nämlich einen enormen Fundus an architektonischen Elementen, mit denen Du arbeiten kannst. Alte Häuser haben oft einen ganz eigenen Charme. Sie strahlen als Charakter eine individuelle Präsenz aus, die mit einem Neubau nur schwer zu erreichen ist. 

Aber auch schöne Altbauten müssen und können nicht um jeden Preis erhalten werden. Es lohnt sich auf jeden Fall, die Vor- und Nachteile des Entscheids gut abzuwägen.

NICHT ABREISSEN…

Als Liebhaberin von Altbauten plädiere ich darauf, dass Du erstmals die Vorzüge vom Bestehenden untersuchst. Die Frage die Du Dir stellen kannst ist zum Beispiel Folgende:
Was hält mich davor zurück, das Objekt dem Erdboden gleichzumachen? Offensichtliche Faktoren sind baurechtliche (kann man später nicht mehr so viel bauen wie jetzt da steht) oder Familienpolitische.
Aber hier zählen nicht nur harte, sondern auch die sogenannten weichen Faktoren.

  • Gibt es beim Objekt einen emotionalen Wert für dich? Ist es womöglich das Elternhaus, und es beherbergt sogar die Erinnerungen mehrer Generationen?
  • Ist es aus Deiner Sicht ästhetisch ansprechend, ‘herzig’, stilvoll? Strahlt es eine gewisse Würde aus?
  • Findest Du, dass es einen baugeschichtlichen Wert haben könnte? Nur weil es womöglich nicht in einem Denkmalpflege-Register steht, heisst das nicht, dass es keinen bauhistorischen ‘Wert’ hat.
  • Siehst Du vielleicht handwerklich beeindruckende Ecken? Fändest Du es schade, wenn diese Zeugnisse der Handwerkskunst für immer verschwinden?

…ODER DOCH?

In einem zweiten Schritt kannst Du Dir die Nachteile des Bestandes visualisieren. Welche Punkte sprechen für einen Abbruch und gegen einen Umbau ?
Man erinnere sich: Ich bin eine Person aus dem Internet, und habe keine Ahnung, wie es bei Dir zuhause aussieht. Du bist am besten beraten, wenn Du Dich professionelle Fachkräfte holst, um die Qualität eines Gebäudes einzuschätzen.

  • Wie sieht der bauphysikalische Zustand aus?
  • Gibt es statisch gesehen problematische Stellen?
  • Ist es aus nachhaltiger Sicht äusserst schwierig, das Gebäude auf einen genügend guten Stand zu bringen?
  • Ist ein Umbau aus finanzieller Sicht schlichtweg nicht möglich?

Wenn der Bestand bauphysikalisch oder statisch eine absolute Katastrophe ist, wird es wahnsinnig aufwendig, das Gebäude bewohnbar zu machen. Gemeint sind zum Beispiel durchgefaultes Mauerwerk, oder ein statisch nicht mehr funktionierendes Tragwerk. Dinge, die das Haus als Ganzes nicht mehr funktionsfähig machen.
Ist das Objekt nur ein bisschen runtergekommen (eingeknickter Dachstuhl) oder hat ein paar schimmlige Ecken hat, muss das noch kein Todesurteil für das Gebäude bedeuten und kann eventuell behoben werden. Für verfallende Ställe oder Bauernhäuser gibt es spezialisierte Architekten und Holzbauerinnen, welche Dir aus so einem Objekt eine Wahnsinns-Wohnung zaubern können, mit Qualitäten, die mit einem Neubau niemals erreicht werden (vorausgesetzt, die Zonengesetzte erlauben das).

Um den Zustand des Objekts beurteilen zu können, brauchst Du fachliche Unterstützung. Frag einen unabhängigen (nicht mit Dir verwandten) Bauphysiker und eine Ingenieurin an, mit Dir zusammen einen Rundgang zu machen, und kritische Stellen zu sondieren (Proben entnehmen) und zu untersuchen.
Außerdem muss jedes Gebäude auf Schadstoffe untersucht werden. Die Aspekte des nachhaltigen und des finanziellen Aspektes verdienen eine etwas genauere Betrachtung. Denn gerade bei dem mir so wichtigen, aber leider hochkomplexen Thema der Nachhaltigkeit gibt es einige Seiten zu beleuchten:

AMBIVALENTE CO2-BILANZ

Lange war ich der festen Meinung, dass ein Gebäude stehen zu lassen, umzubauen und weiter zu benutzen natürlich nachhaltiger sein muss, als es abzureissen und dann ein völlig neues Gebäude hinzustellen.
Dass diese erste Reaktion zum ‘Erhalt’ eines Gebäudes aber trügerisch sein kann, spricht der Basler Bauökonom und Ingenieur Nico Ros in einem Podcast mit Architekturbasel an.
Ein Hauptthema des Podcasts ist die berechenbare Ökologie von einem Haus. Diese lässt sich nämlich – bezogen auf die CO2-Emissionen – ganz nüchtern mit Hilfe von Referenzwerten berechnen. Dabei wird sowohl die Energie für die Herstellung der Materialien (graue Energie), als auch die Energie für die spätere Nutzung (Heizung, Strom, Wartung) mit einbezogen.
Ein wichtiges Thema des Gesprächs ist die eher emotionale Einstellung zum Thema Abriss und die damit verbundenen Folgen:

„Beim Thema Ökologie gibt es ein Problem: Die Leute schauen sich zu wenig Zahlen an. Ökologie wird extrem emotional diskutiert. […] In vielen Fällen ist der Abbruch ökologischer als ein Umbau. [Das] ist emotional aber nicht besonders populär.“

Nico Ros, im Podcast von ARCHITEKTURBASEL vom 29. August 2021

Ros betont, dass die Berechnungen ebenfalls nur auf Annahmen und Referenzwerten beruhen – aber unbestreitbar viel genauer sind als ein loses „Gefühl“ für die Ökologie.
Das Problem stammt unter Anderem daher, dass man bei einer Renovation oft sehr eingeschränkt ist, welche Materialien man wieder einbringen kannst. Vielleicht gibt es keinen Platz, um eine nachhaltige Dämmung (z.B. Holzwolle) zu verwenden. Dann muss – um zukünftige Bauschäden zu vermeiden – eine nicht-nachhaltige Hochleistungsdämmung eingebracht werden. Diese wiederum bringt neue ‘graue Energie’ in das Gebäude. Ein Paradoxon.

“Zum Schluss habe ich ein Haus, welches viel Energie braucht, und habe auch noch viel Energie reingesteckt.”

Nico Ros, im Podcast von ARCHITEKTURBASEL vom 29. August 2021

Um diesem Problem entgegenzuwirken, sollte man aus meiner Sicht ein Gebäude nicht in Jahrzehnten, sondern in Jahrhunderten denken. Dazu gehört auch, dass man darüber nachdenken muss, wie man (oder der zukünftige Besitzer) es in Zukunft renovieren kann.
Wie plant man ein Haus, sodass es regelmäßig auf den neuesten Stand der Technik gebracht werden kann – auch durch die nächste Generation in 40 Jahren? Und die Nächste in 80 Jahren?
Wie gesagt, das verlangt, dass man die ‚Nachhaltigkeit‘ auf mehreren Ebenen denkt und einplant, insbesondere auf der Gestalterischen.

Gestalterische nachhaltigkeit

Das Thema Nachhaltigkeit wird zwar oft und gerne erwähnt, ist aber wenn überhaupt, total unterbewertet. Für die Wertbeständigkeit Deiner Immobilie und Deine langfristige Zufriedenheit damit ist ein nachhaltiges Vorgehen auf allen Ebenen absolut zwingend
Nachhaltigkeit kann man nicht nur auf materieller Ebene oder in technischen Aspekten verfolgen. Ich meine hier insbesondere auch ein nachhaltiger Umgang mit der Gestaltung. Angefangen beim Bautyp, über den Grundriss und bis hin zur Fassade. 

Eine nachhaltige Gestaltung gewährleistet, dass Dein Gebäude auch in Jahrzehnten für Dich (oder die zukünftigen Eigentümer) noch wertvoll ist und gerne genutzt wird. Andernfalls droht der Abriss, und Deine ganze anfängliche Investition aus Zeit, Nerven und Herzschmerz löst sich mit Hilfe von ein paar Baggern innerhalb von wenigen Stunden in Luft auf. Falls Du dann nicht mehr die Eigentümerin bist, kann Dir das zwar egal sein – ist aber eben nicht nachhaltig.

Das nachhaltigste Haus ist dasjenige, das möglichst lange genutzt wird. Per Definition bedeutet nachhaltig ‘über einen längeren Zeitraum wirken’. Das heisst ganz einfach, dass die verwendeten Ressourcen wie Backsteine, Dämmung, verlegte Rohre usw. über einen möglichst langen Zeitraum genutzt werden. Die Energie, die zu Beginn in die Herstellung der Materialien und Produkte investiert wird (graue Energie), verteilt sich dann auf mehrere Jahre oder sogar Jahrzehnte der Nutzung – was sich positiv auf die CO2-Bilanz auswirkt.

Der bekannte Japanische Architekt Shigeru Ban arbeitet viel mit in Japan traditionellem Papier. Obwohl Papier ein sehr fragiles Material ist, ist er überzeugt davon, dass nicht das Material bestimmt, wie lange das Bauwerk bestehen bleibt, sondern wie intensiv es von den Benutzern geliebt, und deshalb auch gepflegt, wird. 

„Auch wenn ein Gebäude aus Papier gebaut ist, wenn die Leute es lieben, wird es ewig stehen“

– Shigeru Ban (lose übersetzt)

Fazit

Ob abreissen oder umbauen muss natürlich für jedes Projekt individuell beurteilt werden. Oft werden dabei aber die weichen Faktoren übersehen oder ausgeblendet, und Emotionen können die eine oder andere Seite begünstigen.

Was mich viel mehr beschäftigt ist die Frage was passiert, wenn es zu einem Abriss kommen sollte.
Ich verfechte die Meinung, dass ein Ersatz für ein Abgerissenes Gebäude ebenso gut, und sogar besser sein sollte. Ich meine natürlich auf einer gestalterischen Ebene, wir reden hier nicht von Technik. Gestalterisch muss es ein ‚Upgrade‘ geben, sonst ist der Abriss ein Verlust. Aus nachhaltiger Sicht ist es am besten, wenn auch das neue Haus möglichst lange genutzt wird. Dies passiert in meinen Augen insbesondere durch gestalterische Nachhaltigkeit.

Und wie gestaltest Du ein Haus gestalterisch Nachhaltig? Die schlechte Nachricht: es ist schwierig. Viel schwieriger, als nicht darüber nachdenken zu müssen. Aber Du bist ja nicht hier, weil Du vor so etwas zurückschreckst. Die gute Nachricht: Es lohnt sich auf allen möglichen Ebenen. Quasi eine Win-Win-Situation. Du bekommst bessere Architektur, die Dir besser gefällt und auch in Zukunft sinnvoll genutzt werden kann. Eine gute Investition also. Plus, Du erfreust Dich jeden Tag an den guten Entscheidungen, die Du in diesem Prozess gefällt hast. Es gibt eine lange Liste an Dingen, die man machen kann (eigentlich dieser ganze Blog), aber hier sind ein paar ausgewählte, die mir besonders wichtig erscheinen.

  • Zum Beispiel, indem Du in etwa gleich grosse Räume planst (Beitrag in Bearbeitung) und dafür sorgst, dass diese unabhängig voneinander erschließbar sind. Dadurch sind bei einem Nutzungswechsel viele neue Konfigurationen denkbar: Ein Büro, eine Praxis, eine Kleinwohnung, oder sogar ein Kindergarten.
    Man denke daran, dass heute in Stadtwohnungen diese am meisten gefragt sind, wo die Küche als separater Raum vom Wohnzimmer abgetrennt ist.
  • Oder indem Du sicherstellst, dass genügend Referenzen, insbesondere für die Aussengestaltung, vorhanden sind (Beitrag in Bearbeitung), und das Gebäude optisch ‚angenommen‘ wird in der Umgebung und von der Bevölkerung.
  • Oder indem nicht ‚zeitlose‘, sondern natürliche Farben und Materialien verwendet werden. Jede Generation hat andere Vorstellungen davon, was als ‚zeitlos‘ gilt. Natürliche Materialien und Farben hingegen können nicht aus der Mode gehen.

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